10.000 Schritte – Wie sinnvoll sind moderne Aktivitätsziele?
- Hendrik Bientzle

- 1. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Die weitverbreitete und noch immer vorherrschende Empfehlung, täglich 10.000 Schritte zu gehen, basiert weniger auf wissenschaftlichen Erkenntnissen als vielmehr auf einem Marketingkonzept einer japanischen Firma der 1960er-Jahre. Im Zuge der Olympischen Sommerspiele 1964 brachte das Unternehmen einen Schrittzähler auf den Markt und
bewarb mittels der 10.000 Schritte-Marke einen gesünderen Lebensstil. Grundsätzlich nicht das verwerflichste Marketing, Menschen zu mehr Bewegung zu bringen. Es stellt sich jedoch die Frage, was denn hinter den 10.000 Schritten steckt und was sie überhaupt messen sollen? Dazu sind die Auffassungen relativ unterschiedlich.
Was ist dran an der 10.000-Schritte-Regel?
Ein Blick in die Studienlage der letzten Jahre zeigt: Ein gesundheitlicher Nutzen gemessen an der Tages-Schrittzahl ist möglich. In der Meta-Analyse von Paluch et al. (2021) kamen die WissenschaftlerInnen zu der Erkenntnis, dass für die Altersgruppe 60+ bereits bei 6.000-8.000 Schritte pro Tag das allgemeine Sterberisiko verringert werden kann. Bei der Gruppe Erwachsene bis 60 Jahren haben sich 8.000-10.000 Schritte durch ein vermindertes Sterberisiko ausgezeichnet. Es bleibt jedoch wage, wodurch genau ein verringertes Sterberisiko sich auszeichnet und ob hier nicht auch noch andere Faktoren Einfluss genommen haben. Auch die Meta-Analyse von Kraus et al. (2022) bestätigt, dass das Mortalitätsrisiko (und der damit verbundene Gesundheitsnutzen) mit zunehmender Schrittzahl zwar sinkt, aber auch hier ist nicht klar, ob und auf welchem Wege die Belastungsintensitäten in die Bewertung eingeflossen sind.
Auch die neuste, häufig zitierte Meta-Analyse von Ding et al. (2025), deutet auf einen stärkeren Effekt auf den allgemeinen Gesundheitsnutzen von 7.000 Schritten zu 2.000 Schritten hin. Ab 7.000 Schritten steigt der gesundheitliche Nutzen noch weiterhin, ist aber nicht mehr solch ein großer Fortschritt.
Was sagen mir die Ergebnisse nun tatsächlich aus?

Bewegung ist (überraschenderweise) grundsätzlich mal nicht verkehrt für die Gesundheit. Wenn es um die Verbesserung der Herz-Kreislauf-Funktion geht, liefert in meinen Augen die Herzfrequenz eine validere Kennzahl. Sie bezieht den individuellen Trainingszustand und das tatsächliche Belastungsniveau mit ein – im Gegensatz zur bloßen Schrittanzahl. Denn 10.000 Schritte auf einem ausgedehnten Spaziergang haben eine ganz andere physiologische Wirkung, als dieselbe Schrittzahl auf dem Weg zu einem Berggipfel. Wiederum sind 10.000 Schritte für eine trainierte Person weniger belastend, als für eine untrainierte Person. Das macht deutlich: So einfach ist die
Rechnung leider nicht und würde unserem komplexen System bei Weitem nicht gerecht werden. So könnte weniger die Bewegungsquantität entscheidend für unsere Gesundheit sein, als die Bewegungsintensität.
Welche Alternativen zu Schrittzielen gibt es?
Statt starrer Schrittziele rücken vermehrt individuellere Parameter in den Fokus. Dies ist vor allem durch die Funktionen der heutigen Fitnesstracker möglich. Besonders die sogenannte moderate bis intensive körperliche Aktivität (MVPA – moderate to vigorous physical activity) gewinnt an Bedeutung. Hierbei zählt nicht nur, ob man sich bewegt, sondern ob ein gewisser Anstrengungsgrad erreicht wird. Übersetzt heißt das: Kommst Du tatsächlich in’s Schnaufen durch die Belastung?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt hierbei einen Anhaltspunkt, wöchentlich mindestens 150 moderate Aktivitätsminuten oder 75 intensive Aktivitätsminuten zu erreichen (WHO, 2022). Fitnesstracker, die beispielsweise den Puls oder die VO₂max (maximale Sauerstoffaufnahme) messen, helfen dabei, die individuelle Belastung genauer einzuschätzen.
Wie oft sollte man sich pro Tag wirklich bewegen?
Auch hierzu finden sich die unterschiedlichsten Meinungen in der Trainingswelt. Grundsätzlich gilt: Je flexibler der Körper gefordert wird, desto besser. Das bedeutet: Ändere Deine Körperpositionen möglichst häufig – das ist bereits ein Anfang. Wenn Du denn ganzen Tag sitzt, hat das auf Dauer weitreichende Folgen für Deinen gesamten Organismus. Studien deuten darauf hin, dass die regelmäßige Unterbrechung von längeren Sitzepisoden einen deutlichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben (Benatti et al., 2015). Setze Dir beispielsweise einen stündlichen Wecker bei der Arbeit, sodass Du jede Stunde Dich zumindest für einen kurzen Zeitraum bewegst. Sorge dann durch Muskelaktivität für eine erhöhte Herz-Kreislauf-Aktivität.
Für wen sind neue Aktivitätsziele sinnvoll?
Bei der Verwendung von Aktivitätszielen kommt in erster Linie der motivationale Aspekt zum Tragen. Hast Du das Gefühl, dass Dich ein tägliches (oder auch wöchentliches/monatliches) Ziel dazu antreibt, häufiger in Bewegung zu kommen? Oder sorgt der Gedanke allein bereits für innerlichen Stress und Überforderung? Stelle Dir diese Fragen, um Dir selbst die Antwort darauf zu geben.
Gibt es Risiken durch Über- oder Unterforderung?
Ja, sowohl Bewegungsmangel als auch übermäßige Belastung können Risiken bergen. Wer sich dauerhaft zu wenig bewegt, erhöht beispielsweise das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und mentale Beschwerden (Kraus et al., 2022, Galper et al., 2006).
Umgekehrt kann zu intensive oder über einen sehr langen Zeitraum andauernde Belastung – besonders bei untrainierten Personen – zu Überlastungsproblemen führen. Das soll Dich jedoch keinen falls vor der Belastung abschrecken. Etwas gesunder Menschenverstand sagt Dir bereits, dass die Teilnahme an einem Triathlon von heute auf morgen ohne jegliches Training auch nicht ganz sinnvoll ist.
Was bringt tägliche Bewegung im Vergleich zu einzelnen Sporteinheiten?

Tägliche Bewegung – auch in kleinen Dosen – wirkt nachhaltig auf Stoffwechsel, Psyche und Deine kardiovaskuläre Gesundheit. Es vereinfacht den Zugang zur Aktivität und „bewegt“ Dich auch im Alltag zu gesünderen Entscheidungen. So ist es zu Beginn der Phase der Bewusstmachung jedes Mal eine kognitive Anstrengung, sich für die Treppe und gegen den Aufzug zu entscheiden. Entsteht dadurch auf Dauer eine Gewohnheit, hast Du schon einen weiteren Schritt hin zu einem gesünderen Lebensstil gemacht. Du siehst: In den kleinen Veränderungen liegt sehr großes Potential. Deine Trainingseinheit ergänzt die Alltagsaktivität. Je nach Belastungsform sorgst Du so zusätzlich für spezifische Reize, die am Ende auch auf Deine Gesundheit einzahlen.
Wie integriert man Aktivitätsziele effektiv in den Alltag?
Hinterfrage in erster Linie Dein persönliches „Warum“. Wenn es um das Thema Gesundheit geht, sollte Dir bewusst werden, dass es hierbei um keinen Wettbewerb geht. Das alleinige Erreichen von Zielen macht Dich nicht unmittelbar gesünder oder zufriedener. Es kann definitiv eine Methode sein, Deine Motivation zu steigern. Sollte das ein effektiver Anreiz zu mehr Bewegung für Dich sein, wunderbar!
Wenn Du Dich jedoch bei dem Wort „Ziel“ zu sehr an den Leistungsgedanken gebunden fühlst und dadurch negative Gefühle gegenüber dem Thema Bewegung entstehen, dann ist das nicht der richtige Ansatz für Dich.
Hier hilft es, die für Dich passende Art von Bewegung zu finden, um Deine Freude an der Bewegung täglich zu fördern. Fällt es Dir schwer, Dich alleine damit auseinanderzusetzen, dann suche Dir Deinen passenden Coach, der Dich auf persönlicher Ebene abholt und Dich in diesem Prozess unterstützt.
Zum Originalbeitrag von mir auf www.Personalfitness.de.
Literaturverzeichnis
Benatti, F. B., & Ried-Larsen, M. (2015). The effects of breaking up prolonged sitting time: a review of experimental studies. Medicine & Science in Sports & Exercise, 47(10), 2053-2061.
Galper, D. I., Trivedi, M. H., Barlow, C. E., Dunn, A. L., & Kampert, J. B. (2006). Inverse association between physical inactivity and mental health in men and women. Medicine & Science in Sports & Exercise, 38(1), 173-178.
Kraus, W. E., Janz, K. F., Powell, K. E., Campbell, W. W., Jakicic, J. M., Troiano, R. P., Sprow, K., Torres, A., Piercy, K. L., & 2018 PHYSICAL ACTIVITY GUIDELINES ADVISORY COMMITTEE (2019). Daily Step Counts for Measuring Physical Activity Exposure and Its Relation to Health. Medicine and science in sports and exercise, 51(6), 1206–1212. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000001932
Paluch, A. E., Bajpai, S., Bassett, D. R., Carnethon, M. R., Ekelund, U., Evenson, K. R., Galuska, D. A., Jefferis, B. J., Kraus, W. E., Lee, I. M., Matthews, C. E., Omura, J. D., Patel, A. V., Pieper, C. F., Rees-Punia, E., Dallmeier, D., Klenk, J., Whincup, P. H., Dooley, E. E., Pettee Gabriel, K., … Steps for Health Collaborative (2022). Daily steps and all-cause mortality: a meta-analysis of 15 international cohorts. The Lancet. Public health, 7(3), e219–e228. https://doi.org/10.1016/S2468-2667(21)00302-9
Saint-Maurice, P. F., Troiano, R. P., Bassett, D. R., Jr, Graubard, B. I., Carlson, S. A., Shiroma, E. J., Fulton, J. E., & Matthews, C. E. (2020). Association of Daily Step Count and Step Intensity With Mortality Among US Adults. JAMA, 323(12), 1151–1160. https://doi.org/10.1001/jama.2020.1382 World Health Organization. (2022). Global status report on physical activity 2022. World Health Organization. https://iris.who.int/handle/10665/363607



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